"Die Statue von Mr. Selassie"

Am Abend des 30. Juni wurde bei einer Protestveranstaltung von ca. 100 Leuten im Cannizaro-Park (Wimbledon/London) die Statue von Haile Selassie zerstört. Schon am 9. Juli versprach der scheidende äthiopische Botschafter Ababi Demessie den Wiederaufbau. Anlässlich unseres ausführlichen Interviews mit Dr. Asfa-Wossen Asserate zur aktuellen Situation in Äthiopien, fragten wir ihn auch nach dem Ehrenmal des letzten äthiopischen Kaisers.

DÄV: Die Statue Ihres Großonkels Kaiser Haile Selassie wurde Anfang Juli in Wimbledon zerstört. Sie haben ein Buch über ihn geschrieben, das nicht mit Kritik spart. Er war Alleinherrscher und schon dadurch nicht frei von Schuld. Er war aber auch großer Pan-Afrikanist, Kämpfer für die Dekolonialisierung; den Rastafaris, die sich nach ihm benannt haben, gilt er als Gott. Was bedeutet für Sie diese Zerstörung – persönlich, aber auch als symbolische Tat?

Dr. Asserate: Erstens: Zu einem Zeitpunkt, wo die ganze Welt auf die Barrikaden geht für „Black Lives Matter“ ist es eine Schande die Statue eines schwarzen Mannes in London zu demolieren! Zum Zweiten: Wissen die Zerstörer überhaupt, wessen Statue sie da demoliert haben? Die Statue des äthiopischen Kaisers? Nein, das ist die Statue von "Mr. Selassie" - so wurde er nämlich während seines Exils in England offiziell von der Regierung genannt, da die Appeasement-Politik von Baldwin und Chamberlain den König von Italien schon längst als Kaiser von Äthiopien anerkannt hatte. Die Errichtung der Statue erfolgte aus einem anderen Grund. Damit wollte 1938 die bekannte Künstlerin Hilda Seligman, die auch eine große Antifaschistin war, sich vor diesem großen Politiker verbeugen. Sie nannte ihn "das lebende Symbol des weltweiten antifaschistischen Kampfes". Die Statue war vor allem eine Verbeugung vor dem Kampfe Haile Selassies gegen Mussolini und seine Kohorten. Diejenigen, die glauben, daß die Statue anlässlich seines Staatsbesuches in England im Jahr 1954 errichtet wurde, liegen falsch. Die hasserfüllten jungen Männer sollten sich vorher intensiv auch mit der jüngeren Geschichte Äthiopiens befassen!

Die Schändung ist also ein Symbol der Ignoranz?

Ja, es ist ein Symbol für Ignoranz und mangelnde Bildung. Man geht ja auch in Europa mit anderen Statuen nicht anders um. Ich halte überhaupt nichts von dem Versuch Geschichte mit dem Vorschlaghammer umzuschreiben. Wir müssen die guten und schlechten Episoden unserer Geschichte ertragen und dann die notwendige Verantwortung übernehmen. Doch der Versuch unangenehme Teile der Geschichtsschreibung umzudeuten, ist töricht. Wir müssen versuchen aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Zu meinem großen Erstaunen, soll es in England sogar Menschen geben, die das Denkmal des "Retters der Nation" Winston Churchill in die Luft jagen wollen. Diesen unbelehrbaren Geschichtszerklitterern sollte man zurufen: "Vergesst nicht, wenn Churchill nicht gewesen wäre, würde nicht der Union Jack von den Fahnenmasten wehen, sondern das Hackenkreuz".   

Hier geht es zum Interview mit Dr. Asserate zur aktuellen Lage in Äthiopien

 

 

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